Das Erbe des Widerstands bewahren

Robert von Steinau-Steinrück

Das Erbe des Widerstands bewahren

Begrüßungsansprache des Vorsitzenden des Vorstands der „Stiftung 20. Juli 1944“ Prof. Dr. Robert von Steinau-Steinrück am 20. Juli 2016 im Ehrenhof der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in der Stauffenbergstraße, Berlin

Sie alle möchte ich zur Feierstunde der Bundesregierung und der Stiftung 20. Juli 1944 herzlich begrüßen.

Besonders möchte ich unter den hier versammelten Angehörigen des Widerstands in seiner ganzen Breite zwei Frauen willkommen heißen: Sie, liebe Frau Holmsten, und Sie, liebe Frau von Hammerstein. Ihre beiden Männer waren im Widerstand gegen die Nationalsozialisten.

Georg Holmsten, zugehörig zur Amtsgruppe Ausland des von Admiral Canaris geleiteten Amtes Ausland/Abwehr war selbst am Aufstand des 20. Juli beteiligt. Heute vor 72 Jahren hatte er hier im Bendlerblock den Sonderauftrag, nach Gelingen des Aufstands das „Deutsche-Nachrichten-Büro“ zu übernehmen.

Franz von Hammerstein war 12 Jahre alt, als Hitler am 3. Februar 1933 hier oben in der Dienstwohnung seines Vaters, des Chefs der Heeresleitung, Kurt von Hammerstein, als neu ernannter Reichskanzler seine aggressiven Kriegspläne in einer Rede vor der Generalität offenbarte. Kurt von Hammerstein erbat sofort seinen Abschied; er und seine Söhne Kunrat und Ludwig waren aktiv an den Vorbereitungen des 20. Juli 1944 beteiligt. Die beiden Brüder konnten untertauchen. Franz dagegen wurde von der Gestapo zusammen mit seiner Mutter und Schwester als „Sippenhäftling“ festgenommen. Beide, Georg Holmsten wie Franz von Hammerstein, konnten glücklicherweise das Kriegsende überleben.

Es waren die Frauen der Widerstandskämpfer, die im Jahr 1947 die Stiftung

20. Juli 1944 gegründet haben. Eine von ihnen, Renate Gräfin von Hardenberg, war ihre erste Geschäftsführerin. Wir denken an ihre Tochter Wonte (Reinhild Gräfin Hardenberg), die vor kurzem gestorben ist und morgen in Neuhardenberg beerdigt wird. Sie war selbst in den Widerstand eingebunden und wurde von der Gestapo inhaftiert.

Der Stiftung ging es zunächst um die seelische und materielle Unterstützung der Angehörigen derjenigen, die im Widerstand waren und von denen so viele ermordet wurden. Von Anfang an ging es aber auch darum, für das Ansehen des Widerstands zu kämpfen und sein Erbe zu bewahren, galten doch bis weit in die 1950er Jahre die Widerstandskämpfer als Verräter. Die Stiftung hat insofern auch ein „Wächteramt“ übernommen.

Auf Betreiben der Angehörigen legte hier am 20. Juli 1952 Eva Olbricht, die Witwe von General Friedrich Olbricht, den Grundstein für das Ehrenmal. Die heutige Gedenkstunde steht also in einer wichtigen Tradition unseres Landes. Wir freuen uns daher auf Ihre Ansprache, Frau Ministerin Hendricks.

Seit dem letzten Jahr findet die Gedenkstunde abwechselnd hier im Bendlerblock, am „Ort der Tat“ und in Plötzensee, am „Ort des Opfers“ statt. Das Gedenken und Erinnern an den deutschen Widerstand war von Anfang an eng mit dem Land Berlin verbunden, insofern ist es auch eine Tradition des Landes Berlin. Daher freuen wir uns, dass Sie, Herr Regierender Bürgermeister Müller, gleich zu uns sprechen; wie wir uns auch über die Anwesenheit des Präsidenten des Abgeordnetenhauses, Wieland, sowie von Innensenator Henkel und Finanzsenator Kollatz-Ahnen freuen.

Schwerpunkt der Arbeit der Stiftung ist heute, einen Beitrag zu leisten, um die Erinnerung an den Widerstand wach zu halten; vor allem im Ausland, in der Bundeswehr und in der Jugend. So freuen wir uns, dass heute zahlreiche Mitglieder des Diplomatischen Korps hier sind. Stellvertretend für Sie alle, begrüße ich den Doyen des Diplomatischen Korps und Apostolischen Nuntius, Erzbischof Eterović herzlich. Der uns nahe stehende und vor kurzem gestorbene deutsch-amerikanische Historiker Fritz Stern hat hier in seiner großen Rede am 20. Juli 2010 den Vorschlag unterbreitet, dass wir uns mehr als bisher die Gemeinsamkeiten im europäischen Widerstand bewusst machen. An dieser Stelle grüße ich den früheren Präsidenten des Europäischen Parlaments und Vorsitzenden der Konrad-Adenauer-Stiftung, Herrn Hans-Gert Pöttering.

Für die Bundeswehr ist der 20. Juli 1944 ein wichtiger Traditionspfeiler. Insofern ein ganz herzlicher Gruß an Sie, liebe Frau Ministerin von der Leyen; ebenso an Ihren Amtsvorgänger Franz-Josef Jung. Stellvertretend für alle Soldaten begrüße ich den Generalinspekteur der Bundeswehr, Volker Wieker. Das Gelöbnis heute Abend steht in der Tradition des 20. Juli; hier freuen wir uns auf die Ansprache von Alt-Bischof Wolfgang Huber.

Am wichtigsten ist uns die Vermittlung von Kenntnissen über den Widerstand an Jugendliche. Stellvertretend für alle jungen Teilnehmer begrüße ich herzlich eine Schülergruppe aus der Klosterschule Roßleben aus Thüringen; die Schule übrigens, aus der zahlreiche Widerstandskämpfer des 20. Juli kamen. Unser schwer erkranktes Vorstandsmitglied Thomas Lindenmeyer hatte die Verbindung hergestellt.

Was hat ein 16-jähriger heute mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu tun? Die Antwort auf diese Frage hat die Bundeskanzlerin 2014 bei der Eröffnung der neuen Dauerausstellung der Gedenkstätte Deutscher Widerstand so formuliert: „dass es unerlässlich ist, dass junge Menschen lernen, welches Leid von Deutschland ausging, dass sie verstehen, wie es dazu kommen konnte, dass sie extremistische Denkweisen entlarven können, dass sie für sich Wege finden, wie sie selbst extremistischen Verführungen und Verführern entgegentreten können.“

An extremistischen Verführungen und Verführern – gleich ob links- oder rechtsextremistisch – herrscht kein Mangel, wohin wir auch blicken. Die Aufgabe ist und bleibt aktuell. Noch beklemmender ist, dass inzwischen rechtsextremistische Kreise sogar versuchen, den Widerstand für sich zu vereinnahmen. Lassen Sie mich dazu ein aktuelles Beispiel nennen: Bei den „Pegida“-Demonstrationen wird immer wieder die sogennante „Wirmer-Fahne“ geschwenkt. Der Widerstandskämpfer Josef Wirmer hat diese Fahne mit einem schwarz-goldenen Kreuz auf rotem Grund als Zeichen der Erhebung gegen das nationalsozialistische Unrechtsregime entworfen: Schwarz-Rot-Gold als Rückbesinnung auf die Weimarer Republik und das christliche Philippus-Kreuz als Kontrapunkt gegen das Hakenkreuz; ein Symbol also für eine freiheitliche und tolerante Gesellschaft. Wer diese Fahne für extremistische und fremdenfeindliche Zwecke missbraucht, verhöhnt ihre Idee. Die Familie Wirmer – und hier begrüße ich den Sohn von Josef Wirmer, Anton Wirmer – und die Stiftung 20. Juli 1944 verurteilen diesen Missbrauch.

So fordert der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in seiner ganzen Breite jeden von uns auf, sich immer wieder den bleibenden Wert der Zivilcourage bewusst zu machen. Widerstand – so hat es Peter Steinbach jüngst formuliert – fragt nicht nur nach den Grenzen und Zielen des Staates, er reflektiert auch die Grenzen gesellschaftlicher Anpassung. Es geht nicht nur um das Recht des Individuums auf Selbstentfaltung, sondern auch um seine Verpflichtung, anderen, die diffamiert und verfolgt werden, dieses Recht zu sichern. Wenn der Gedenktag des 20. Juli uns das immer wieder bewusst bleibt er auch in Zukunft wichtig für unser Land.

Herzlichen Dank!






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