Begrüßung Rotes Rathaus

Empfang im Roten Rathaus am 19. Juli 2023 anlässlich des 79. Jahrestages des 20. Juli 1944


- Kai Wegner, Regierender Bürgermeister von Berlin –



Es ist mir eine große Ehre, eine seit 1952 bestehende Tradition fortzuführen und die Angehörigen der Stiftung des 20. Juli 1944 zum traditionellen Vorabendempfang des Berliner Senats zu begrüßen. Herzlich willkommen im Roten Rathaus.


Über das ungebrochen hohe Interesse an diesem Empfang freue ich mich sehr, denn auch dem Berliner Senat ist die Erinnerung an die mutigen Menschen des 20. Juli 1944 – so wie auch an die vielen anderen Frauen und Männer des deutschen Widerstands - ein besonders wichtiges Anliegen. Wir möchten Ihnen gegenüber – gegenüber den Angehörigen der Stiftung 20. Juli – heute Abend abermals bekräftigen: Wir werden die mutigen Taten Ihrer Vorfahren nie vergessen und das Vermächtnis dieses Widerstands wahren.


Vor 79 Jahren entschieden sich die Männer der Widerstandsgruppe um Claus Schenk Graf von Stauffenberg, allein ihrer Überzeugung und ihrem Gewissen zu folgen, um die menschenverachtende, massenmörderische Diktatur zu stoppen.


Ihren heldenhaften Einsatz bezahlten mehrere Männer noch am selben Tag mit dem Leben, weitere Beteiligte wurden in den Wochen danach verhaftet und ermordet. Der Bendlerblock, die einstige Hinrichtungsstätte im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee und andere Orte in Berlin, sind für immer mit der Geschichte des Widerstands vom 20. Juli 1944 verbunden.


Das NS-Regime bestrafte nicht nur die am Attentat Beteiligten, sondern hinterließ auch deren Angehörigen eine schwere Last - auch Familienmitglieder wurden verhaftet, Kinder wurden aus ihren Familien gerissen - ein dunkles Kapitel, das sich durch die Familienchroniken der Angehörigen zieht. Umso wichtiger bleibt es, die Geschichte an die nachfolgenden Generationen weiterzugeben.


Die Frauen und Männer des Widerstands gegen das NS-Regime lehren uns, dass es immer eine Wahl gibt, Haltung zu beziehen und auf das eigene Gewissen zu hören. Es gibt immer eine Wahl, sich gegen Unrecht und Unterdrückung, gegen Menschenverachtung und Diskriminierung zu erheben. In Berlin, der Stadt der Freiheit, sind die Männer und Frauen des 20. Juli echte Vorbilder.


Die Botschaft des 20. Juli hat heute mehrfache Aktualität. Für uns gilt es heute, dem Unrecht vorzubeugen. Extremisten dürfen in unserem Land niemals wieder auch nur Einfluss auf die Regierung bekommen. Wir sind alle dafür verantwortlich, Freiheit und Demokratie täglich zu verteidigen. Ein Leben in Frieden, Freiheit und Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit.


Der Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft mahnt uns dazu, jungen Menschen die Botschaft zu vermitteln, sich auch gegen Widerstände für die eigene Überzeugung einzusetzen und bereit zu sein, dafür Konsequenzen zu tragen. Ohne dass das heute – anders als am 20. Juli 1944 – mit einer Gefahr für Leib und Leben verbunden ist.


Um dieses Vermächtnis zu wahren, müssen sich die jungen Menschen mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus auseinandersetzen. Nur so können sie die Verbrechen des NS-Regimes gegen die Menschlichkeit auch verstehen. Nur so können sie verstehen, wie es soweit kommen konnte und wie groß die Gefahr rechtsextremistischer Demagogen ist. Nur so erfahren sie davon, was es bedeutete, sein Leben einzusetzen und das Äußerste zu wagen.


Die Stiftung 20. Juli leistet einen unverzichtbar wichtigen Beitrag für eine lebendige Erinnerungskultur. Viele Angehörige der Stiftung haben sich seit Jahrzehnten in Gesprächen und Veranstaltungen mit jungen Menschen engagiert, um ihnen von den Geschehnissen des Attentats vom 20. Juli 1944 zu berichten. Doch inzwischen wird sich leider auch die zweite Generation der Angehörigen nicht mehr lange persönlich engagieren können.


Die Stiftung 20. Juli steht durch den Generationenwechsel vor der großen Herausforderung, eine Brücke der Erinnerung in die Zukunft zu schlagen. Das Andenken an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus für die kommenden Generationen zu bewahren, ist eine fortwährende Aufgabe. Dabei werden immer wieder neue Formen des Erinnerns entstehen. Ich denke zum Beispiel an die Nutzung der Sozialen Medien. Vielleicht eröffnet auch das heutige Netzwerktreffen der Angehörigen der vierten Generation neue Perspektiven.


Ich wünsche Ihnen, sehr geehrter Herr Professor von Steinau-Steinrück, stellvertretend für alle Angehörigen der Stiftung 20. Juli, dass Sie gemeinsam mit der Gedenkstätte Deutscher Widerstand die richtigen Pflöcke einschlagen werden, um diese Herausforderungen zu meistern.


Wir tragen alle dafür die Verantwortung, die Erinnerung an den unfassbaren Mut jener Männer des 20. Juli und an alle anderen entschlossenen Widerstandskämpferinnen und -kämpfer gegen das NS-Regimes für immer wach zu halten. Wir müssen die Lehren des deutschen Widerstands weitergeben.


Ich danke Ihnen und der Stiftung 20. Juli sehr für Ihr großes Engagement. Vielen Dank dafür, dass Sie alle ihren ganz persönlichen Beitrag für das Erinnern leisten.


Ich wünsche Ihnen einen anregenden Abend im Roten Rathaus.

Weitere Reden

19.07.2023
Prof. Dr. Robert von Steinau-Steinrück
Prof. Dr. Robert von Steinau-Steinrück