Vortrag anl. 50 Jahre Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944 e.V.

im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, am 26. Februar 2023
- Dr. Rüdiger von Voss, Ehrenvorsitzender -


Eine Rede zum 50. Jubiläum der Forschungsgemeinschaft ist meine heutige Aufgabe und ich bedanke mich dafür, hierzu aufgefordert und eingeladen worden zu sein. Die Rückerinnerung ist der eine Teil meiner Rede heute. Der andere Teil ist der Versuch, hieraus Lehren zu ziehen und eine Botschaft für die Zukunft zu formulieren. Die Geschichte ist im Großen und Ganzen die Erinnerung der Völker. Im Einzelnen der Betrachtung kommt es darauf an, die Aufgabe anzunehmen, sich rechtzeitig auf zukünftige Herausforderungen vorzubereiten, um sich hieraus erneut für den weiteren Bestand zu legitimieren. Es ist also die “innere Legitimation”, die neue Anstrengungen rechtfertigt und nötig macht.


I.


In meiner Rede zum 40. Jubiläum habe ich mich sorgfältig mit der Schilderung der Gründung der Forschungs-gemeinschaft beschäftigt. Ergänzt durch die Darstellung von Barbara Lier, die diesem Sachverhalt ihre vorzügliche Doktorarbeit gewidmet hat. Ihre Darstellung ist in dem Band 28 der Schriftenreihe der Forschungsgemeinschaft veröffentlicht worden. Ich darf auf beide Arbeiten ausdrücklich hinweisen und den am Detail Interessierten empfehlen.


Zu diesen beiden Darstellungen gehören auch meine Erläuterungen zu den inneren Beziehungen zur Stiftung 20. Juli 1944 (ehemals das “Hilfswerk 20. Juli”, das erst später in eine Stiftung umgewandelt wurde). In meinem Buch zum Staatsstreich unter dem Titel “Der Staatsstreich vom 20. Juli 1944” mit dem Untertitel “Politische Rezeption und Traditionsbildung in der Bundesrepublik Deutschland” habe ich versucht, deutlich zu machen, wie eng sich die “inneren Beziehungen” und Verbindungen unserer Organisation darstellen und bewusst angelegt sind. Es sind zum Einen die engen biographischen Beziehungen zu den Männern und Frauen des gesamten Widerstandes.


Zum anderen ist es das “Vermächtnis” und der Geist des Widerstandes, die wir als eine Verpflichtung verstanden haben und danach auch die Aufgaben unserer Organisationen daran ausrichteten. Dies hieß, unsererseits eine kritikbewusste Rezeption zu erarbeiten, und die hieraus erwachsenden Erkenntnisse zu vermitteln. Dies hieß des Weiteren, wissenschaftliche Forschung zu betreiben, um diese dann an die politische Bildung an Schulen und Hochschulen weiterzugeben. Nicht zuletzt, um an der breiter angelegten öffentlichen Debatte teilzunehmen und um die Wahrnehmung des Widerstandes als Teil der “nationalen Identität” zu fördern. Auch den Blick auf die Widerstandsbewegungen in der Zeit der Diktatur 1933 bis 1945 in den von dem nationalsozialistischem Regime besetzten Gebieten wollten wir verdeutlichen. Eine Konzeption also, die wir im Rahmen unserer Möglichkeiten, nach besten Kräften, bis heute, zu erfüllen versuchen.


II.


Es ging also nicht um eine undifferenzierte “Heldenverehrung”, sondern um eine offene, zugleich kritische Auseinandersetzung, um Schuld, Mitverantwortung und um eine Antwort auf das deutsche wie europäische Verhängnis des 20. Jahrhunderts. Damit zugleich um die Frage, ob und was wir aus der “totalitären Versuchung” (Hannah Arendt) lernen können und auch wollten.


Wenn es zutrifft, dass der sittliche Kern des Widerstandes und damit zugleich seine historische Rechtfertigung darin liegt, aus dem Wissen um Schuld und Verantwortung vor dem Gewissen sich zum Widerstand und zur Tat gegen eine Diktatur entschieden zu haben, wie es auch Axel von dem Bussche immer wieder betonte, so wird die Verantwortung klar, zu der wir uns ausdrücklich bekannten.


Es ist also nicht damit getan, einen “Mythos” zu schaffen und allein in eine besonnte Vergangenheit “zurückzuschauen”: Mit notwendiger Sorgfalt sollten wir uns der freiheitlichen Ordnung und der Sicherung von Demokratie, Rechtsstaat und sozialer Mitverantwortung angesichts neuer struktureller Probleme zuwenden und versuchen, in die Zukunft “vorauszuschauen”. Hieraus allein erwächst die “innere Legitimation” und Rechtfertigung unserer Arbeit. – Auch in der Zukunft gilt dies, auch und gerade angesichts neuer Gefahren für unser Staatsverständnis, was in diesen Tagen, insbesondere seit dem Krieg in der Ukraine, überaus klar zu Tage tritt. Es geht erneut um “Freiheit oder Diktatur” und die Frage, ob wir im Geiste von Dietrich Bonhoeffer, dieser Herausforderung standhalten.


III.


An dieser Stelle ist es mir wichtig, eine klare Position zu beziehen, ohne die breite Debatte im Einzelnen wiedergeben zu können, wie sie in den letzten Jahren in den Medien stattgefunden hat: Es geht mir im Folgenden also weniger um die gleich zu nennenden Autoren, sondern in vollem Ernst um die “Substanz” einer geschichtspolitischen Bewertung des gesamten Widerstandes und seines geistigen wie politischen Vermächtnisses.


Der in Edinburgh lehrende Historiker Stephan Malinowski präsentierte in seiner oftmals unbelegten Erzählung “Die Hohenzollern und die Nazis” – Die “Geschichte einer Kollaboration” – seine These: Die Geschichte des Widerstandes sei auf eine “adelige Erzählgemeinschaft“, auf “Grafenerzählungen”, auf einen “Dönhoffismus”, auf mündliche Überlieferungen wie “Homerische Sagen” als “konservative Leitnarrative nach 1945” zurückzuführen. Es handele sich um eine bloße Widerstandslegende, um einen “Mythos” als Geschichte mit Auslassungen. Der 20. Juli sei nichts anderes als ein erfolgreicher “geschichtsleitender Mythos” der Personen, wie Marion Gräfin Dönhoff, Hans und Renate Graf und Gräfin von Hardenberg, Fabian von Schlabrendorff und dessen Umfeld des ehemaligen Hilfswerks 20. Juli in Kollaboration mit dem Haus Hohenzollern.


Besonders auffällig sind seine herabwürdigenden Äußerungen zu dem Historiker Hans Rothfels und dessen Werk „Die deutsche Opposition gegen Hitler“. Gleiches gilt für die Person von Fabian von Schlabrendorff und seinem Buch „Offiziere gegen Hitler“, das 1946 in Zürich veröffentlicht wurde.


Noch handfester kommt der Journalist Thomas Karlauf in seinem Buch “Stauffenberg – Porträt eines Attentäters” zu dem Vorwurf, es habe keinen “Aufstand des Gewissens” angesichts eines Mangels an demokratischem Bewusstsein gegeben. Alle Berichte seien durchzogen von Spekulationen, die der tatsächlichen historischen Wahrheit nicht entsprächen. Welches Deutschland Stauffenberg und den Mittätern auch immer vor Augen gestanden hätte: Sein letzter Ruf “Es lebe das heilige Deutschland!”, der bis heute historisch umstritten ist, sei nicht als Botschaft an die Nachlebenden zu verstehen, sondern als eine Beschwörung der Welt, aus der er kam. Sophie von Bechtolsheim hat ihm mit ihrem eindrucksvollen Buch über ihren Großvater Stauffenberg geantwortet.


Auch bei Thomas Karlauf sind die Äußerungen zur Diskreditierung Schlabrendorffs, zu Hans Rothfels und Eberhard Zeller auffällig.


Thomas Karlauf hat weder die bis heute umfassende Geschichte von Peter Hoffmann zu allen Facetten des deutschen Widerstands sachlich ausreichend, noch die eindrucksvolle stationäre Darstellung von Linda von Keyserlingk-Rehbein über die Netzwerke des Widerstandes aus dem Jahr 2018 verarbeitet, ganz zu schweigen von der nicht berücksichtigten zweibändigen Ausgabe der Verhandlungen vor dem Volksgerichtshof des Bonner Historikers Hans-Adolf Jacobsen, noch die diversen Publikationen von Peter Steinbach, noch die Darstellung von Wolfgang Benz zur Opposition gegen Hitler aus dem Jahr 2018 akzeptiert oder ausgewertet. Blanke Unkenntnis ist festzustellen hinsichtlich der Reden über den Widerstand, archiviert in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, sowie die Vernachlässigung der breiten Literatur zur Inneren und Äußeren Emigration. Es ist der auch polemische Versuch einer politisch-moralischen Delegitimation des Widerstandes, um den es hier geht. Wir werden eine derartige „Kündigung aus der Geschichte“ nicht zulassen!


Die Frage stellt sich also, wem dieser zentrale Angriff gegen die historische Reputation des Widerstandes letztlich dient. Denkt man nur an die Inbesitznahme des Widerstandes durch die reaktionäre politische Rechte, seitens der AFD und sonstiger Verbündeter in diesem neofaschistischen, populistischen und inzwischen aggressiven Lager. Der inzwischen feststellbare Missbrauch des Begriffs „Widerstand“ für Zwecke des Umweltschutzes ist in höchstem Maße alarmierend.


IV.


Was haben wir seit dem Bestehen der Forschungsgemeinschaft getan?


Am 20. Juli 1973 gründeten Alfred und Marion von Hofacker, Peter und Ulrike Kaiser, Michael Maaß, Rudolf Georgi, meine Frau Monica und ich die Forschungsgemeinschaft. Die Satzung wurde am 26. August 1973 mit Hilfe von dem Rechtsanwalt Ulrich Biel26, an den ich ebenso, wie an alle Genannten, dankbar erinnern möchte, verabschiedet.


Nach mehreren Tagungen in Liebenzell und Schmitten 1971, 1972 und 1973 und auch mit Unterstützung des Vorstandes der Stiftung 20. Juli 1944 konnten wir ein Forum schaffen, das nicht in Konfrontation sondern in Kooperation unserer Organisationen als von Mitgliedern getragener Verein Wirklichkeit wurde und jetzt 50 Jahre besteht. Entgegen leider wenig konstruktiver Vorbehalte – auch aus den eigenen Reihen –, hatten wir das Glück der verantworteten Entschlossenheit, das uns leitende Vermächtnis neu aufzunehmen und neue Gemeinsamkeiten unserer Generation zu schaffen.


Dankbar erinnere ich an Dr. Goerdeler und Ludwig von Hammerstein, die uns damals unterstützten. Ganz besonders dankbar erinnere ich an Professor Eberhard Bethge, der uns stets treu zur Seite stand, immer zu den Tagungen erschien und uns inspirierte. Gerade er verdiente als Theologe, Freund und Biograph sowie als der eigentliche Schöpfer der weltweiten Bedeutung von Bonhoeffer' Theologie eine erneute Tagung zu der Wirkungskraft seines Denkens.


Dankbar erinnere ich auch an die damalige wissenschaftliche Unterstützung durch die Professoren Peter Steinbach und Gerhard Ringshausen sowie etwas später durch Prof. Frank-Lothar Kroll und Prof. Ulrich Schlie.


Dank sage ich auch der Bundeszentrale für politische Bildung und auch Hans Katzer, dem 1996 verstorbenen Schwiegersohn von Jakob Kaiser und ehemaligen Bundesminister und Vorsitzenden der Jakob-Kaiser-Stiftung, die uns massiv unterstützten und den „Königswinterer Tagungen“, dem Sitz der Jakob-Kaiser-Stiftung, einen Ort und Namen gaben, der bis heute gilt.


Die Arbeit begann ohne Infrastruktur und eigene finanzielle Mittel, ohne jede Sicherheit für unser fortwährendes Bestreben. Es war mutig, weil wir jung und fest entschlossen waren, uns zu behaupten.


Schon bei dem 40. Jubiläum habe ich ausführlich über die tatsächlichen Arbeitsergebnisse berichten können und auch Barbara Lier hat dies getan, die die beim Archiv der Konrad-Adenauer-Stiftung seit langem liegenden umfassenden Akten der Forschungsgemeinschaft detailliert aufgearbeitet hat.


Ich verzichte darauf, diese Arbeitsergebnisse nun alle erneut darzustellen, will aber kurz auf Wesentliches noch einmal hinweisen dürfen:


In der ersten Schriftenreihe der Forschungsgemeinschaft entstanden eine erste Schulbuch-Studie von Jürgen Liebing 1975, das Schüddekopf-Gutachten 1977, Marion Dönhoffs erstes Manuskript: „In Memoriam 20. Juli 1944“ im Jahr 1980. Dankbar bin ich für die neue Studie von Saskia Henke zum Schüddekopf-Gutachten, die 2022 veröffentlicht wurde als Magister-Arbeit bei Prof. Scholtyseck.


Es folgten drei Bücher “Deutscher Widerstand – Demokratie heute” 1992, “Widerstand und Verteidigung des Rechts” 1997 und die Bücher “Die Ordnung des Staates und die Freiheit des Menschen”, zu den Deutschlandplänen im Widerstand und Exil, beide im Jahr 2000.


Hinzu kamen 5 weitere Bücher zu den Themen „Von der Legitimation der Gewalt – Widerstand und Terrorismus“ 1978, zu „Totalitären Formen der Herrschaft in Staat und Gesellschaft“ 1980, zu „Ethik und Politik“, zum „Nationalsozialismus als didaktisches Problem“ als Unterrichtseinheit 1980, „Von der Totalität der Politik“ und „Ethik und Politik“1980.


Hierzu gehört auch eine von mir verfasste Unterrichtseinheit für den politischen Unterricht der Sekundarstufe 1, 1979/1980.


1984 folgte das von uns herausgegebene Buch von Hans-Jürgen Markmann: Der deutsche Widerstand gegen den Nationalsozialismus 1933 – 1945 mit Modellen für den Unterricht.


Erwähnenswert ist die in unserem Auftrag von Ulrich Cartarius und Professor Karl Otmar von Aretin erstellte umfassende „Bibliographie Widerstand“, 1984, die schon damals 6231 Titel umfasste.


Als späteres Ergebnis dieser Arbeit entstand die Sammlung der Predigten von Plötzensee, 2009, die ich mit Gerhard Ringshausen herausgeben konnte.


Weitgehend vergessen ist, dass wir damals die wichtigen „Lebensbilder zum deutschen Widerstand“ von Annedore Leber übernehmen konnten, die dann von Karl Dietrich Bracher und Willy Brandt überarbeitet in deutscher, englischer und französischer Ausgabe unter dem Titel „Das Gewissen steht auf“ in den Jahren 1984, 1994, 1996 samt den Reden der Bundespräsidenten 1984 von uns in vorzüglichen herausgegebenen Ausgaben erschienen sind.


Seit dem Bestehen der Forschungsgemeinschaft gibt es in regelmäßiger Folge die mehr als 20 Königswinterer Tagungen, die alle dokumentiert sind. Prof. Scholtyseck und Dr. Studt haben allein in 17 Jahren 17 Tagungen durchgeführt, was mit großer Anerkennung und Dank gewürdigt werden sollte. Dank gebührt auch Daniel Müller, Julia Gehrke und Christian Dolff für ihre tatkräftige Mitarbeit.


Die neue Schriftenreihe umfasst inzwischen 29 Bände, darunter 4 Dissertationen, die vom Wißler-Verlag verlegt worden sind. Auch diese große Leistung kann man nur mit Dank und Anerkennung erwähnen. Leider kann ich auf die Themen der Tagungen und ihrer Referenten nur verweisen. Es ist eine eindrucksvolle Bilanz für die Arbeit der Forschungsgemeinschaft.


In diesem Zusammenhang erwähne ich die von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in den Reihen A und B insgesamt herausgegebenen insgesamt 29 Bände. Auch dies ist eine Bilanz, die verdeutlicht, was alles zur Geschichte des Widerstandes erarbeitet wurde, um dem geistigen und historischen Vermächtnis zu dienen. Unsere Zusammenarbeit kann man mit Fug und Recht als herausragend bezeichnen. In den Jugendcolloquien bzw. Workshops zeigt sich das Bemühen um die Weitergabe aller dieser Arbeit, für die man nur allen mitarbeitenden Freunden unseren Dank aussprechen kann.


Alles dies zeigt, dass die heute 203 Mitglieder der Forschungsgemeinschaft diese Arbeit mittragen. Es ist ein „Organisationswunder“ Wirklichkeit geworden, von dem wir damals nicht zu träumen wagten.


Angeschlossen an die Forschungsgemeinschaft ist seit 2008 der Dorothee-Fliess-Fonds, zu der Hans-Manfred Rahtgens schon gesprochen hat. Dorothee Fliess, mit der ich eng befreundet war, hat dieses bedeutende Legat aus Dankbarkeit für die im Jahr 1942 gelungene Rettung vor der Deportation und für die damit verbundene „Flucht“ in die Schweiz testamentarisch verfügt. Mit dem sogenannten „Unternehmen 7“, das von der militärischen Ausland-Abwehr durch Dohnanyi und Oster, mit der Genehmigung von Admiral Canaris, organisiert worden war, ist eine damals einmalige Rettung der 7 jüdischen Familien gelungen. Dohnanyi und Oster haben ihr Leben verloren. Winfried Meyer hat diese Aktion in einer großen Monographie von 1993 eindrucksvoll gewürdigt. Dorothees Schwester Beate hat dieses Legat nach ihrem Tod erfüllen lassen. Es wurde damit eine Grundlage für eine segensreiche Arbeit geschaffen, für die Hans-Manfred Rahtgens als Vorsitzendem, Prof. Scholtyseck, Christina Rahtgens und dem Stiftungsrat zu danken ist.


V.


Im Jahr 1930 sagte der bedeutende jüdische Schriftsteller Joseph Roth (1894 – 1939): „Wir haben unsere Welt verloren“ und forderte seinen Freund Stefan Zweig auf, sein damaliges Buch schnell zu Ende zu schreiben. In einem Brief an Stefan Zweig schrieb er Mitte Februar 1933:


„Inzwischen wird es Ihnen klar sein, dass wir großen Katastrophen zutreiben. Abgesehen von den privaten … führt das Ganze zum neuen Krieg. Ich gebe keinen Heller mehr für unser Leben. Es ist gelungen, die Barbarei regieren zu lassen. Machen Sie sich keine Illusionen. Die Hölle regiert.“


Wer hat in Deutschland seitens der politischen und intellektuellen vermeintlichen Eliten, schon vor der Machtergreifung, zugehört? Hören wir heute zu, frage ich mich in diesen Tagen, wo sind die Stimmen der Kirchen und Anderer?


Hat man damals den christlichen Dichtern ud Schriftstellern in der Zeit von 1933 bis 1945 und ihren getarnten und „widerständigen Worten“ zugehört, die nun von Gerhard Ringshausen in einem zutiefst beeindruckenden Werk jüngst dargestellt und hervorragend gewürdigt werden, Sind wir der Politik der Täuschungen gewachsen, die erneut manifest geworden ist? Übersehen wir wieder die sogenannten „schönen Seiten“ von Propaganda und Korruption auch der gewaltvollen Politik der neoautoritären, faschistoiden Regime unserer Tage?


Wird zu Recht nach einem „wieder erwachten Gewissen“ gefragt? Ist der Widerstand gegen die NS-Diktatur in der Gefahr ein „randständiges Ereignis“ der deutschen Geschichte zu werden. Fehlen bald die Menschen, wie Professor Neitzel schreibt, die sich zu den Vorbildern aus dem deutschen Widerstand bekennen? Die Bundeswehr ist auf dem richtigen Weg mit ihrem neuen Traditionserlass vom 28. März 201844. An diesem Punkt darf ich auf die von Georg von Witzleben, von den Nachkommen Witzlebens und mir am 20. Juli 2017 in Berlin gegründete Erwin-von-Witzleben-Gesellschaft aufmerksam machen, die seitdem eng mit der Offiziersschule des Heeres in Dresden zu einer erfolgreichen Zusammenarbeit gefunden hat. Gemeinsam arbeiten wir an der Traditionspflege der Bundeswehr.


Gibt es Nachholbedarf auf der Suche nach „vergessenen Verschwörern“, neue Beurteilungen? Wie z.B. die Fabian von Schlabrendorff – Biographie von Mario Müller und die Hansen-Biographie von Franziska Bartl. Andere Neuerscheinungen sind in dieser Schriftenreihe „Widerstand im Widerstreit“ beim be.bra Verlag, Berlin zu erwarten!


Fehlt nicht auch die Geschichte derjenigen, die unserer Generation nach dem Krieg in der Schweiz, in England und in den USA kraftvoll geholfen haben? Auch die Rolle von Karl Barth wartet auf eine Darstellung.


Dieser Bericht ist trotz aller Einzelheiten zur Arbeit zugleich ein „themen-strategischer Versuch“, um das Spektrum an Ansätzen zu beschreiben, um einen Weg zur Gewährleistung der „inneren Legitimation“ unserer Arbeit in der Zukunft zu sichern.


VI.


„Zeitenwende“ ist, so höre ich, das „Wort des Jahres“. Lassen Sie mich hierzu einige wenige Gedanken vortragen, die mich beschäftigen:


Mit der Annexion der Krim 2014 und dem russischen Angriff auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 manifestierte sich nicht nur das Scheitern der vom Völkerrecht gesicherten Friedensordnung und der Struktur der lange Zeit immer wieder erfolgreich betriebenen Konfliktbewältigung ohne Krieg. Der kooperative Ansatz einer Transformation zur Marktwirtschaft und Demokratie fand ein abruptes Ende und erzwingt heute eine umfassende Anpassung an die Realitäten. Inzwischen stehen wir vor der Gefahr einer weltweit sichtbaren Krise der Weltwirtschaft, einer Krise der politischen Führung und zugleich einer „geistig kulturellen Krise“ von ungeahntem Ausmaß.


Hierbei geht es nicht nur um Deutschland. Der im Krieg in der Ukraine sichtbar werdende „Eroberungsfuror und Vernichtungswille des von imperialen Wahnvorstellungen getriebenen postsowjetischen Gewaltherrschers und seiner willfährigen Gefolgschaft“, so Frank-Lothar Kroll, betrifft Europa als Ganzes und die Identität von Rechtsstaat und Demokratie gleichermaßen. Dies hat Frank-Lothar Kroll in seinem jüngst erschienenen Buch mit dem Titel „Identität und Differenz“ mit Blick auf die europäische Geschichte eindrucksvoll dargestellt.


Es ist eine Konfrontation von „Mythisierungen“ versus „historischer Wahrheit“, die die Kriterien des „Bewahrheitens“ in Frage stellen! Insoweit verweise ich auf die von Egon Flaig jüngst aufgerufene Frage, wie es die Historie mit der historischen Wahrheit hält. Ich verweise auf die sich daran anschließende Debatte.


Die Frage stellt sich also, ob wir bereit sind, der „fake history“, der Politik der Lügen und dem Ausbruch einer fast grenzenlosen Gewalt sowie der Gefährdung des Bestandes der freien Demokratie in den Weg zu treten? Das Auftreten neuer totalitärer Diktaturen und das Diktum des Staatsrechtslehrers Carl Schmitt, wonach „souverän“ ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet, steht plötzlich wieder auf der Tagesordnung. Mit Entsetzen erlebte die USA, wie der ehemalige amerikanische Präsident Donald Trump mit dem Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 einen veritablen „Staatsstreich“ anzielte und hoffentlich nun bald vor der Anklage steht. Auch wir müssen an dieser Debatte teilzunehmen versuchen. Der „politische Widerstand“ bedarf der Unterstützung, auch in Russland selbst, in dem die intellektuelle Elite gewaltsam zum Schweigen gebracht worden ist. Russland durchläuft eine geistig-mörderische Krise, die die nächste Generation schwer belasten wird.


Der russische Angriffskrieg zwingt uns alle, über den „Krieg“ und den Bestand der Identität der freiheitlichen Ordnung und ihrer Zukunft grundsätzlich nachzudenken.


Ohne dies Alles nun ausführlicher behandeln zu können, zeigt sich am zunehmenden Auftreten von Verfassungsfeinden und Staatsfeindlichkeit gewaltbereiter Aktivisten ein „strukturelles Problem der modernen Demokratie“ von erheblicher Bedeutung, die uns keine Ruhe mehr lassen sollte. Hinsichtlich der zunehmenden Gewalt im Internet verweise ich ausdrücklich auf die eindrucksvollen Untersuchungen des „Institute for Strategic Dialogue“ in Berlin, mit Hilfe deren eindrucksvoller Gutachten eindrücklich nachverfolgt werden kann, dass keinerlei Verharmlosung mehr erlaubt werden kann.


Ausdrücklich erinnere ich an das Wort vom „Vollstrecker des Bösen“ von Hans Bernd von Haeften vom 15. August 1944, das er Freisler zurief. Ich bin fest davon überzeugt, dass der „große Vollstrecker des Bösen“ neu aufgetreten ist.


Wir stehen gewaltbereiten Rechtsextremen, Verschwörungsideologen, politisch gewalttätigen Subkulturen, kriegswilliger Politik, also „Radikalisierungsmaschinen“ gegenüber, die insgesamt dem politischen Widerstand eine neue Bedeutung geben und den Bestand sowie die Grenzen von Recht und Verfassung in den genaueren Blick rücken. Angesichts der zunehmenden Radikalisierung in den rechtsautoritären Lagern sollten wir uns mit der „normativen Konfusion“ und den hieraus erwachsenden Gefährdungen beschäftigen.


Ist der Widerstand ein „randständiges“ Phänomen?


Ein erneuter Blick auf die Rezeption des Widerstandes in neuesten Büchern zur deutschen Geschichte der Bundesrepublik ist dringend erforderlich. Diesen Hinweis verdanke ich Ulrich Schlie. Der verengte Blick auf den „nationalen Attentatsversuch“ bei Eckart Conze ist ebenso besorgniserregend wie die Bewertung der nationalkonservativen Haltungen zur Weimarer Republik, zu dem Entstehen der Nazi-Diktatur sowie zur Judenverfolgung „in toto“ bei Ulrich Herbert. Peter Longerich spricht von einer moralischen Überhöhung der Widerstandskämpfer und ihrer Motive und damit von einer unrespektablen “Heroisierung“ des Widerstandes. Selbst Heinrich August Winkler beschreibt die Konservativen im Widerstand und Stauffenberg in einer meines Erachtens offenbar beabsichtigt verkürzten Weise, die den Antisemitismus und die Judenverfolgung generalisierend der Tradition des deutschen Konservatismus zuweisen.


Wollen wir diese Sichtweisen unwidersprochen hinnehmen? Wenn wir verhindern wollen, dass diese Trends der Bewertungen des Widerstandes sich ausweiten und politisch verfestigen, dann wird der Widerstand aus dem Identitätsverständnis unsere Republik ebenso entfernt wie es jetzt schon mit „Preußen“ erneut versucht wird.


Folgt man Michael Wolfssohn und seinen Gedanken zur „Erinnerungskultur“ und seinen glaubwürdigen Gedanken zum „authentischen Gedenken“, sind auch wir gefordert, uns mit diesem  Fragenbereich mit Blick auf das Gedenken an den Widerstand im Jahr 2024 auseinanderzusetzen. Es ist sicher nötig, eine in formelhaften Worten erstarrte Erinnerung zu vermeiden und die Menschen des Widerstandes stärker hervortreten zu lassen. Dies hat Freya von Moltke wiederholt angemahnt. Das heißt doch: Das Themenfeld für unsere Arbeit ist offen, wie seit langem nicht mehr. Insoweit darf ich Sie – mit aller Zurückhaltung – auch auf die nun vorliegenden 5 Bänder der Edition „Widerstand im Widerstreit“ beim be.bra Verlag (Berlin) hinweisen.


VII.


Die Stiftung 20. Juli 1944, die Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944, der ihr angeschlossene Dorothee-Fliess-Fond, die Erwin-von-Witzleben-Gesellschaft, sollten ihre Zusammenarbeit verstärken. Die Kooperation mit der Gedenkstätte Deutscher Widerstand steht auf einem gesicherten, festen Fundament.


Die Vorstände, die Beiräte und Kuratorien unserer Organisationen arbeiten. Die Gründer der Organisationen und alle jeweiligen Nachfolger in den Ämtern wie Christel Blumenberg-Lampe, Hans-Manfred Rahtgens, Friedrich Jagow und ihre Mitarbeiter haben mit ihrem ehrenamtlichen Einsatz ihren Auftrag in verdienstvoller Weise geleistet.


Die Stiftung 20. Juli: alle bisherigen Vorsitzenden und Vorstände wie Kuratoren, Axel Smend und Valerie Riedesel und Robert von Steinau-Steinrück, um sie stellvertretend zu nennen, stehen in guter Tradition, das Gedenken zu sichern und das Vermächtnis des ganzen Widerstandes zu gewährleisten.


Alle denken wir über die zukünftigen Aufgaben und über die zeitgerechte Generationen-Nachfolge nach.


Ich darf allen Genannten, den Helfern und Ratgebern meinen Respekt bezeugen und allen danken.


Die Geschichte unserer Organisationen gibt uns neuen Mut. Das Vermächtnis und der hieraus abzuleitende Auftrag bleiben eine Verpflichtung, nach vorne zu schauen und die Zukunft zu gestalten.


Ich bin voller Hoffnung, dass dies gelingt!